Montag, 24. März 2014

Neue Wörter braucht das Land (Teil 1: Früher)


Manchmal gibt es Dinge, für die uns einfach kein Wort einfällt. Und das liegt nicht etwa daran, dass unser Gehirn mal wieder Pause macht, ohne uns zu fragen. Nein, für manche Dinge gibt es einfach kein deutsches Wort. Der Bedarf ist da, wird aber nicht gedeckt. Man könnte ja mal was erfinden, aber so leicht ist das dann doch nicht.
Wie war das früher? Wie ist man da auf neue Wörter gekommen?
Bis ins späte 16. Jahrhundert wurde in Deutschland mehrheitlich auf Latein geschrieben. Nachdem sich das Deutsche etabliert hatte, begann man fleißig fremdsprachige Begriffe zu übersetzen und einzudeutschen. Eine erste Welle fand Mitte des 17. Jahrhunderts statt, eine zweite Welle Ende des 18. Jahrhunderts und eine dritte Welle um 1900. 
Im 17. und 18. Jahrhundert gingen Sprachneuerungen meist von Philosophen, Linguisten oder anderen Akademikern aus. Über den Ursprung moderner Neologismen lässt sich nur spekulieren. Waren es im 19. Jahrhundert noch die regionalen Mundarten und Dialekte, die neue Wörter einbrachten, so stammen neue Wörter heute vermehrt aus sozialen Varietäten. Neue Begriffe strömen aus allen Teilen der Gesellschaft ein.
Große Bemühungen in der Fremdwortverdeutschung des späten 17. Jahrhunderts konnte man Philipp von Zesen nachweisen.
Beispiele: Distanz -> Abstand, Adresse -> Anschrift, Moment -> Augenblick, Bibliothek -> Bücherei, Projekt -> Entwurf, Horizont -> Gesichtskreis, Fundament -> Grundstein, Annalen -> Jahrbücher, Passion -> Leidenschaft, Orthographie -> Rechtschreibung, Journal -> Tagebuch, Tragödie -> Trauerspiel, Autor -> Verfasser, Devise -> Wahlspruch
(Beispiele geklaut bei Boimchen, eine sehr lesenswerte Aufstellung der Deutschen Sprachgeschichte)
Einige dieser Eindeutschungen waren gar erwünscht oder angeordnet worden. Fast immer gab es Menschen, die sich darüber aufregten und Empörung zeigten. Zwar waren es oft nur unverbindliche Vorschläge oder Gelegenheitsversuche, doch oft ernteten Veränderer nur Spott. Menschen, die gewohnte Strukturen aufbrechen, sind nie gern gesehen, aber neue oder unbekannte Worte sind einfach durch ihre Unbekanntheit lustig gewesen. Neben den paar Worten, die sich am Ende durchgesetzt haben, gab es hunderte, die man nie wiedergesehen hat (deshalb sind davon auch so wenige überliefert):
Beispiele: Anatom -> Entgliederer, Botaniker -> Krautbeschreiber, Natur -> Zeugemutter, Fenster -> Tageleuchter, Nase -> Gesichtserker, Harem -> Weiberburg, Nonnenkloster -> Jungfrauenzwinger (wieder von Boimchen)
Sprache verändert sich beständig, diese Veränderungen bemerkt nur niemand. Schaut man dann einmal weiter zurück, wird die Veränderung offenbar. Eine oktroyierte Veränderung, wie sie bei der Eindeutschung stattgefunden hat, ist eine plötzliche Veränderung, die auffällt. Der Sprachgebrauch allein tätigte im Endeffekt die Auswahl und so wurden über die Jahre viele der Neologismen wieder verworfen, weil sie nicht angenommen worden waren.
Dieses schwarmintelligente Sortieren wirkt bis heute fort. Fleißig fertigen Sprachwissenschaftler Listen mit ausgestorbenen Wörtern oder „vom Aussterben bedrohten“ Wörtern an, in der Hoffnung die Wörter irgendwie in die Erinnerung und in den Gebrauch zurückholen zu können. Doch wer das tut, sieht (wortwörtlich) alt aus. Veraltete Wörter werden häufig nur noch als Stilmittel gebraucht. Einige Anhänger der Gothic-Szene nutzen z.B. bewusst Worte, die aus dem Sprachgebrauch gekommen sind, um sich abzuheben. Statt Telefon hört man auf Szenetreffen auch gern mal Fernsprecher.

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